Motivation, Hürden, Erfolge & Bindungen
Die roten Buchstaben wollen sich nicht so recht in die Kästchen zwängen lassen, ungelenk sehen sie aus, von einer Hand geschrieben, für die diese Sprache neu ist. Aber die Botschaft ist klar und leserlich: „Ich bin H. Ich bin Syrer. Ich bin Krankenpfleger. Ich habe einen Vater und eine Mutter.“ Der Brief eines Flüchtlings nach nur sechs Wochen Unterricht am Ende dieses Artikels. Früchte der Arbeit von Uta Schwade und Eva Hütte (beide Fremdsprachenkorrespondentinnen), Klaudia Thun-Vigener (Dozentin an der Volkshochschule), Oberstudienrätin Margarete Kubiak und ihrer „Kollegen“. Im März 2015 haben sie gemeinsam mit zwei weiteren Helferinnen die ehrenamtlichen Deutschkurse im „Regenbogenland“ ins Leben gerufen. Heute ist die ehemalige Olper Notunterkunft eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) und das Team der Deutschlehrerinnen und -lehrer auf 18 angewachsen, die täglich vier Stunden unterrichten.
Teil 1:
„Willkommen in Olpe“ hat sich im Mai 2016 mit den vier Frauen der ersten Stunde zu einem offenen Gespräch getroffen – in Teil eins geht es um die Motivation hinter ihrer Arbeit, erste Hürden, erste Erfolge und persönliche Bindungen.
Am Anfang stand die Frage: Helfen ja – aber wie? Was wird noch gebraucht außer Kleidung, Nahrung und einem Dach über dem Kopf? Kontakte! Kontakte knüpft aber nur, wer auch die Sprache beherrscht, also unterstützten die vier Frauen die Idee, mit den Menschen zu reden und sie zu unterrichten. Klaudia Thun-Vigener: „Wir waren neugierig, hatten auch etwas Berührungsängste, aber genau die wollten wir überwinden und uns ein eigenes Bild schaffen, von anderen Kulturen, Sitten, Lebensweisen. Auch wollten wir den Menschen helfen, sich in dem für sie fremden Land zurecht zu finden.“ In Umfeld der vier Ehrenamtlerinnen reagierten und reagieren viele positiv darauf, „manche gar nicht und machen damit sicherlich ihr Unverständnis deutlich“.
Aller Anfang ist aber auch schwer: Zwar auf ihrem jeweiligen Gebiet versiert und im Unterrichten alles andere als unerfahren, betraten Uta Schwade, Eva Hütte, Klaudia Thun-Vigener und Margarete Kubiak dennoch Neuland. Keine Materialien, kein Konzept. Die Tatsache, dass der zur Verfügung gestellte Unterrichtsraum sich im Keller der Einrichtung befand, ohne Tageslicht und teils auch ohne funktionierende Heizung, machte die Dinge nicht einfacher. Mit Einfühlungsvermögen halfen die Lehrerinnen den erwartungsvollen Menschen vor sich und auch sich selbst die erste holprige Zeit zu ebnen. „Wir überlegten uns, was wir selbst dringend lernen müssten in einem fremden Land. Dafür mussten wir uns in die Bedürfnisse der Menschen reindenken“, erinnert sich Margarete Kubiak.
Sie konzipierten Arbeitsmaterialien und versahen sie mit Bildern, erstellten Kopien, riefen zu Materialspenden auf – und fanden langsam, aber sicher ihr Konzept. Dabei ist das richtige Lehrmaterial nur ein Baustein von vielen, wie auch Eva Hütte weiß: „Natürlich ist es schwierig, Menschen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichem Leistungsniveau zu unterrichten. Und für die Lehrer ohne Erfahrung, sich zu überwinden und vor 20 bis 40 Schülern zu sprechen, Erwachsene wie Kinder.“ Probleme, als weibliche Lehrkräfte anerkannt zu werden, können sie indes nicht bestätigen: „Ohne Einschränkungen“ würden sie respektiert und angenommen, könnten aber natürlich nur aus ihren eigenen Erfahrungen mit Schülern berichten, die „freiwillig und mit Begeisterung“ zum Unterricht kämen.
Jeder Tag ist für sie ein besonderer Tag mit der Freude, die sie den Schülerinnen und Schülern bereiten, der Dankbarkeit, die zurückkommt und natürlich der guten Ergebnisse. „Wenn Menschen zu uns kommen und zu Beginn kein Wort Deutsch sprechen, nach zwölf Wochen in ganzen Sätzen reden – das ist wundervoll“, weiß Klaudia Thun-Vigener.
Doch sie kennen auch die Kehrseite der Medaille: Waren die Bewohner zur Beginn mehrere Monate in der Einrichtung, konnten so also Nähe und Bindung entstehen, waren sie dann auf einmal weg, „von heute auf morgen“. Sich nicht verabschieden zu können sei schlimm gewesen. „Oft nicht zu wissen, wohin der Weg sie führt, ist für uns alle recht schmerzhaft.“ In den Phasen, in denen die Bewohner im Schnitt nur drei Wochen im „Regenbogenland“ bleiben, kann man sich nicht so nahe kommen. Margarete Kubiak: „Derzeit sind unsere Kursbesucher schon fünf Monate in Olpe. Es ist eine tolle Gruppe, die sehr viel gelernt hat. Wir kennen ihre Geschichte und wissen, dass sie uns bald verlassen müssen. Viele werden wieder zurückgehen nach Afghanistan. Sie kommen trotzdem täglich in den Unterricht und lernen fleißig. Wir fragen uns dann schon, wie wir in so einer Situation agieren würden.“
Die Antwort auf die Frage, ob sie sich in der ZUE immer sicher gefühlt oder auch einmal Angst gehabt hätten, kommt prompt: „Nicht vor Bewohnern, eigentlich nie“. Im ersten Unterrichtsraum im Keller sei es sehr beklemmend gewesen. Aber: „Angst nein – Unbehagen zu Beginn schon.“
Teil 2:
Hier sprechen die ehrenamtlichen Sprachlehrerinnen Uta Schwade, Eva Hütte, Klaudia Thun-Vigener und Margarete Kubiak über den Einfluss der Nationalität auf den Lernerfolg, über die Herausforderung der Integration und was es aus ihrer Sicht für deren Gelingen braucht – und über den Wunsch nach mehr Unterstützung und Anerkennung.
Die Sprachlehrerinnen machen interessante Beobachtungen während ihrer Unterrichtsstunden, können zum Beispiel inzwischen sehr genau beurteilen, inwiefern das Leistungsniveau im Zusammenhang mit der jeweiligen Nationalität steht. So fiel Eva Hütte auf: „Menschen aus Syrien sprechen fantastisch Englisch und lernen unglaublich schnell. Sie sind gebildet und ehrgeizig. Zu Beginn hatten wir viele Menschen aus dem Kosovo. Da fiel es auf, dass besonders Frauen selten Bildung genossen haben und sich natürlich sehr schwer taten mit dem Lernen.“ Derzeit sind viele Afghanen im „Regenbogenland“ – manche seien noch nie in der Schule gewesen und lernten trotzdem sehr schnell. Andere wiederum stießen schnell an ihre Grenzen, seien zwar motiviert und fleißig, sprächen aber nur Farsi und täten sich unglaublich schwer.
Auf die Frage, ob aus Sicht der Sprachlehrerinnen Integration funktionieren kann, entgegnet Uta Schwade: „Es wird schwierig. Viele Menschen, die zu uns kommen, möchten nach Kriegsende wieder nach Hause zurück. Heimat ist nun mal nicht unbedingt Deutschland. Integration funktioniert nur über Sprache.“ Die Angebote, das möchten die vier Frauen unterstreichen, müssten gezielt und von Beginn an strukturiert sein. „Viele verbringen in Deutschland einige Monate, bis die Kurse wahrnehmen können. Deutsch lernen muss schon in der ZUE zum Pflichtprogramm gehören. Wir stellen fest, dass nur zehn Prozent der Bewohner regelmäßig am Unterricht, der ja freiwillig ist, teilnehmen. Warum kommen die anderen 90 Prozent nicht?“, fragt sich Klaudia Thun-Vigener. Dabei könne nur über Sprachkenntnisse der Grundstein zur Integration gelegt werden: „Aufgrund des unterschiedlichen Bildungsniveaus werden wir vielleicht zehn bis 15 Prozent der Menschen zügig integrieren können, bei vielen anderen wird es schwierig“, ergänzt Eva Hütte. Und noch etwas liegt den Ehrenamtlerinnen am Herzen. Uta Schwade bringt es auf den Punkt: „Wichtig ist, dass diese Menschen nicht am Rande der Gesellschaft untergebracht und sich selbst überlassen werden. Man muss ihnen die Möglichkeit geben, an unserer Kultur und Lebensweise teil zu haben, ohne ihnen diese aufzuzwingen. Es wird eine große Herausforderung und die, die tatsächlich dauerhaft bei uns bleiben, werden Jahre brauchen, um anzukommen.“
Für ihre Arbeit wünschen sich die vier Lehrkräfte mehr Unterstützung, ein Anliegen, das sie gezielt an die Betreiber der ZUE richten: „Mehr Anerkennung unserer Arbeit und auch ein Budget für Materialien, die wir derzeit gänzlich aus Spendengeldern bestreiten. Wir arbeiten gänzlich unentgeltlich und sehr gern. Nichtsdestotrotz könnte die hauptamtliche Unterstützung großzügiger sein, im Hinblick auf Arbeitsmaterial.“
„Wir freuen uns aber auch über Unterstützung. Unser Team kann immer weitere Engagierte gebrauchen“.
Doch es sind nicht nur die Schülerinnen und Schüler, die viel aus dem Unterricht mitnehmen, sondern auch die Lehrerinnen selbst. Margarete Kubiak formuliert es so: „Wir haben sicherlich viel mehr über andere Kulturen gelernt. Wir haben Schicksale mitbekommen, die uns sehr berührt haben und wir hinterfragen viele Geschehnisse nun anderes. Wir haben uns innerhalb unseres Teams kennen gelernt und wertvolle Bekanntschaften geschlossen. Und wir haben Vorbehalte abgebaut.“
Die Frage, ob sie vorhaben, ihr Engagement fünf Jahre lang durchzuziehen, ist schnell beantwortet: „Soweit es unsere Gesundheit und unsere Freizeit zulassen – ja! Wir freuen uns aber auch über Unterstützung. Unser Team kann immer weitere Engagierte gebrauchen, da wir gerade in Urlaubszeiten an Grenzen stoßen und ungern den Unterricht ausfallen lassen – unsere Schüler freuen sich auf die Stunden und sie gehören zum regelmäßigen Tagesablauf und für viele auch zum Highlight in der ZUE“.
Text: Nicole Klappert
Fotos: privat
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